Delphine de Vigan – Loyalitäten

Titel: Loyalitäten

Autorin: Delphine de Vigan

Jahrgang: 1966

Nationalität: F

Erscheinungsdatum: 2018

Verlag: Dumont

Seiten: 176

 

Mathis und Théo sind beste Freunde und treffen sich regelmässig in ihrem Geheimversteck in der Schule hinter einem Schrank. Dort betrinken sie sich, doch beide aus einem anderen Grund. Théo möchte den ultimativen Schwebezustand durch Alkohol erreichen, und Mathis seinen Freund Théo nicht verlieren. Beobachtet werden die beiden von zwei Frauen: der Mutter von Mathis und ihrer gemeinsamen Lehrerin Hélène. Auch diese beiden kommen wie Théo aus zerrütteten Familien und haben irgendwie einen Weg ins Leben geschafft. Dort haben sie es aber auch nicht leicht – nicht nur wegen Mathis und Théo. Die Klassenlehrerin nimmt eine Veränderung an Théo wahr und geht dieser hartnäckig auf die Spur. Delphine de Vigan beschreibt elegant und sogartig aus verschiedenen Perspektiven die Geschichten der zwei Jungs und ihren Familien und fächert dabei gekonnt die Polysemie des Begriffs „Loyalität“ auf.

 

Contra

Vier Personen – eine Mutter , zwei Schüler und eine Lehrerin – stehen im Zentrum der Geschichte. Sie alle haben ein grosses Päckchen zu tragen und/oder eine schwierige Vergangenheit. Typisch französische Literatur also. Manchmal muss man ob der schweren Kost beim Lesen Pause machen und sich etwas Leichteres gönnen (z. B. das Vox-Nachmittagsprogramm).

Zuerst leidet man mit Théo: Seine familiäre Situation, die in der Schule und überhaupt. Und sein bester Freund Mathis gerät mit in den üblen Strudel.

Alles in allem also wirklich viel auf schmalen 174 Seiten. Wahrscheinlich hätte die Hälfte an Problemen gereicht, um die Handlung von „Loyalitäten“ komplett zu machen.

Mit ihrer Fülle an Verstrickungen und Unwägbarkeiten des Lebens ist die Geschichte dann nicht immer ganz glaubwürdig. Vor allem die Alkohol-Story um Théo und Mathis (Wie schleichen sie sich in der Pause jeweils hinter den Schrank? Fällt das so mitten am Tag nicht auf? Die sind nicht 15 oder 16, sondern 11, 12 Jahre alt – oder?!) liess mich phasenweise stutzen. Schade. Etwas weniger wäre wohl mehr gewesen.

Tilena

 

Pro

Loyalitäten, Treue, Abhängigkeiten. Wie weit auseinander oder nahe beieinander liegen sie? Wie entstehen und entwickeln sie sich zwischen Menschen untereinander, zwischen Menschen und Dingen? Diesen Fragen geht der Roman von Delphine de Vigan zielstrebig und – in Anbetracht des schwierigen Themas «alkoholkranke Kinder» - erzählerisch leicht und elegant auf den Grund. Die Figuren werden lebendig und fassbar. Sie tragen die französische Gesellschaft perfekt an den Leser heran, sind Sympathie- und Antipathieträger und erfüllen die Erwartungen an interessante Charaktere. So einfach wie es auf der Umschlagseite des Buches zusammengefasst wird, ist es allerdings nicht: «Le Figaro» schreibt, für eine kranke Gesellschaft sei das Licht am Ende des Tunnels die «Loyalität». Das Buch ist aber eben gerade nicht mit Loyalität betitelt, sondern mit der Mehrzahl davon und zeigt damit, dass mehrere kontraproduktiv werden können. Und ob Liebe tatsächlich alles ist, wie es hinten auf dem Buch prangt, mag einerseits allgemein dahingestellt bleiben und ist andererseits doch allzu vereinfacht und für das tiefschürfende, gleichzeitig sehr unterhaltsame Buch auch irgendwie unpassend.  

Markus