Laetitia Colombani - Der Zopf

Buchtitel: Der Zopf

Autor: Laetitia Colombani

Jahrgang: 1975

Nationalität: F

Erscheinungsjahr: 2018

Verlag: S. Fischer

Seiten: 288

 

In Laetitia Colombanis Roman «Der Zopf» dreht sich alles ums Haar. Wie die Stränge eines Zopfs webt Colombani die Geschichten dreier Frauen ineinander. Smita will ihrer Tochter eine gute Zukunft ermöglichen und flieht mit ihr aus dem Leben als Unberührbare. Unterwegs macht Smita Halt an einem Vishnu-Tempel, um aus Dankbarkeit für die gelungene Flucht ihre Haare zu opfern. Diese Haare landen vielleicht in den Händen von Giulia. Zusammen mit ihrem Freund Kemal baut sie die Perückenfabrik ihres Vaters wieder auf, indem sie Haare aus Indien importiert. Eine von Giulias Perücken könnte es sein, die Sarahs Kopf schmücken wird. Sarah, die erfolgreiche Anwältin, verdrängt ihre Krebserkrankung, bis sie von ihr eingeholt wird.

Pro

Kunstvoll verwebt Laetitia Colombani gleichsam der griechischen Schicksalsgöttinen den Schicksalsfaden dreier Frauen auf drei Kontinenten, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch miteinander verbunden sind. Man kann sich mit den Leben, den grossen Fragen und Sorgen der Frauen identifizieren und ist berührt von deren Schicksalen. Jeder sterbliche Mensch ist ungleich den Göttern selber für sein Schicksal verantwortlich und kann dieses durch bewusste Entscheide ändern. Spannend werden die Erzählstränge aufgebaut, man fiebert dem grossen Umbruch in jederfraus Leben entgegen und begleitet sie auf ihrem Entscheidungsweg. Durch vielfältige Veranschaulichungen entstehen Bilder im Kopf, verknüpft mit der packenden Handlung ein ganzer Bildstreifen im Kopfkino. Die Kinorechte wurden übrigens bereits verkauft. Dieses Buch funktioniert aufgrund einer Stimme aus dem Off, welche die Erzählstränge miteinander verbindet, bestimmt wunderbar und vielleicht sogar noch besser als Film.

Wibke


Contra

Im falschen Film habe ich mich beim Lesen dieses Buches gewähnt – und dies nicht nur, weil es eher an ein Drehbuch denn als einen klassischen Roman erinnert. Störend auch, ständig das Gefühl zu haben, dass die Autorin der vermeintlichen Hoffnung in ihren Geschichten selbst nicht ganz glauben kann. Welchen Wahrscheinlichkeitsgehalt weist etwa die Story auf, dass Giulia aus einer bankrotten Perückenfabrik innert Kürze ein international tätiges Unternehmen etabliert, zumal in einer mausarmen südeuropäischen Stadt, in der man nachmittags als armbanduhrentragender Tourist angstvoll durch die Hinterhöfe spaziert? Gibt es für Sarah etwa ein Figurenvorbild aus der Realität? Hoffentlich nicht. Dem Fass der leicht(sinnig)en Muse den Boden schlägt jedoch die Geschichte von Smita aus, die am einen Morgen noch mit ihrer baren Hand menschlichen Kot aus den Toiletten gräbt und in der kommenden Nacht in die Morgenröte eines verheissenen Happy Ends und in eine bessere Vita am anderen Ende des indischen Riesenreiches fährt. So stirbt die Hoffnung immer zuletzt: jene auf ein gelungenes Leben im alltäglichen Elend, jene auf bessere Filme aus (guten) Büchern und jene auf Fortschritt durch Literatur für die Wohlmeinenden.

Markus