Pedro Lenz - Primitivo
Titel: Primitivo
Autor: Pedro Lenz
Geburtsjahr: 1965
Verlag: Cosmos Verlag
Seiten: 176
Primitivo mag – wie im Nachwort richtigerweise steht – eine Weinsorte sein, in erster Linie handelt es sich dabei jedoch um einen etwas älteren Bauarbeiter aus der Gegend um Langenthal, der kurz vor der Pensionierung steht und bei einem Arbeitsunfall tragisch ums Leben kommt. Pedro Lenz erzählt dessen Geschichte, oder vielmehr mit Primitivos Geschichte auch seine eigene. Als Lehrling auf dem Bau lernt der Ich-Erzähler Primitivo kennen, der zu seinem väterlichen Freund und Beschützer wird. Primitivo ist der Philosoph unter den Arbeitern, zitiert Gedichte, liest viele gescheite Bücher und hält manchmal auch eine Räuberpistole parat – oder sind die Geschichten über die Rolle als Trauzeuge bei der Hochzeit einer ehemaligen Nazi-Grösse in Uruguay doch wirklich passiert? In dieses gelebte Leben verwebt Pedro Lenz eine Coming-Of-Age-Geschichte eines heranwachsenden Mannes aus der bernischen Provinz, erzählt in der Dialektsprache seiner Heimat. Die Schwierigkeiten von Freundschaften, das Ausbrechen aus dem elterlichen Zuhause und der familiären Welt, Suchen und Finden eines eigenen Lebensentwurfs: Dies alles verpackt Pedro Lenz in einen Roman, der in der überschaubaren Welt des vermeintlich kleinen Mannes spielt und dabei doch die ganze Welt erzählt.
Markus
Pro
Mehr Pedro Lenz könnte «Primitivo» nicht sein. Seine südländischen Wurzeln lässt er im Spanier Primitivo, aber auch in den Ich-Erzähler, dessen Mutter aus Spanien stammt, mit einfliessen. Primitivo erzählt dem Maurerlehrling jeden Samstagabend Geschichten aus seinem Leben und ermöglicht ihm damit einen Zugang zu einer Welt ausserhalb des geregelten Alltags und über die Landesgrenze hinaus bis nach Südamerika. Pedros Schweizer Herkunft manifestiert sich in der ländlichen Umgebung des bernischen Langenthals – in der auch er aufgewachsen ist – in der Musik von Polo Hofer und der schönen Mundart, mit dem der Ich-Erzähler von seinen Erinnerungen an Primitivo berichtet und uns an seinem Leben teilnehmen lässt. Ich hatte bei der Lektüre das Gefühl in einer Beiz zu sitzen und der schönen Sprechmelodie des Erzählers zu lauschen. Dabei verknüpft er [TS1] mit einem unsichtbaren Band die Leichtigkeit der Jugend mit den schweren Fragen des Erwachsenenwerdens. Gut und gerne erinnere ich mich dabei an laue Sommerabende meiner Jugend, in denen die Zeit stillzustehen schien und das Leben scheinbar leicht und voller Hoffnung war. Auf der einen Seite lebt der Ich-Erzähler das normale Leben eines Heranwachsenden: Er geht mit seinen Freunden an Dorffeste, fährt mit dem Töffli an ein Polo Hofer Konzert, wo sie ausgelassen tanzen und mitsingen und nach einem spontanen Bad im nahegelegenen Fluss den beim Konzert geklauten Schnaps trinken. So leicht und unbeschwert könnte das Leben sein. Auf der anderen Seite beschäftigt den Erzähler die Liebe und das Erwachsenwerden. Hier und da flicht er Sätze ein, die diese einfache und vielleicht auch schon banale Geschichte um Primitivo zu einem Buch machen, das zum Nachdenken anregt, so fachsimpelt Primitivo: « (…) läse sig immer der gliich Vorgang, läse sig d’Fähigkeit, im Chopf öppis fertig z mache, wo öpper angers heig aagfange.»
Pedro Lenz gelingt es verschiedene Welten miteinander zu verbinden, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten, jedoch die gleichen Fragen behandeln: Wer bin ich und was will ich vom Leben? Doch es gibt noch etwas, das alle Welten verbindet und das sind Geschichten. Und meiner Meinung nach, hat Pedro Lenz mit «Primitivo» seine bisher beste Geschichte geschrieben. Es ist ein Buch, das dazu verleitet, in eigenen Jugenderinnerungen zu schwelgen. Dennoch behandelt es auch die ernsten Themen unseres Lebens, die man vielleicht erst als Erwachsener versteht: «Erwachse isch me nid imne bestimmte Auter, het der Primitivo denn gseit. Erwachse isch me denn, we me versteit, dass me nid dür das Läbe chunnt, ohni dräckig z wärde.»
Wibke