T.C.Boyle - Die Terranauten
Autor: T.C. Boyle
Jahrgang: 1965
Nationalität: USA
Erscheinungsjahr: 2016 (USA) /2017 (dt. Übersetzung)
Verlag: Hanser München
Seiten: 603
Vier Frauen und vier Männer werden in der Wüste von Arizona in ein riesiges Terrarium gesperrt. Zwei Jahre lang darf keiner der Bewohner die Glashalbkugel der «Ecosphere 2» verlassen. Wissenschaftler haben dieses Experiment in den 1990er-Jahren versucht und wollten so Erkenntnisse für die Besiedlung anderer Planeten gewinnen. Draussen stehen die Touristen Schlange, um einen Blick in die grüne Utopie zu werfen. Und drinnen geht bald alles drunter und drüber. Es ist ein Stoff wie gemacht für den US-amerikanischen Erfolgsautor T.C. Boyle. Er vermischt historische Fakten mit der fiktiven Geschichte dreier Hauptprotagonisten. Und stellt nebenbei grosse Fragen, die uns alle angehen. Eine historische Seifenoper über die Abgründe der postmodernen Unterhaltungsgesellschaft, über wissenschaftliche Hybris und über die Natur des Menschen.
Pro
Mit «Die Terranauten» legt der amerikanische Schriftsteller T.C. Boyle einen Roman mit einer Botschaft vor. Es ist schwer, vorstellbar, dass man als Leser zu diesem Buch gegenüber gleichgültig bliebe, was an sich schon ein Verdienst darstellt. Clever und gekonnt verdichtet der Autor seine drei Erzählperspektiven (drei Unterschiedliche Personen, davon zwei Frauen) zu einem historischen Roman, dessen Handlung nur wenige Jahrzehnte zurückliegt. Meisterhaft, wie Boyle seinen Hauptschauplatz (die Mission der acht Terranauten) mit dem Kleinräumigen und den Menschlichkeiten rundherum unter einen Hut bringt und dabei erst noch eigenständige, haften bleibende Figuren hervorbringt. Grossartiges Kleinstadtkino verbindet sich mit dem Herantasten an die wesentlichen Menschheitsfragen, die sich ganz natürlich neben stilistischen Blüten («Dennis’ Stimme, dünn und schlüpfrig, Vaseline auf einem nassen Zweig» oder «mit Zähnen wie Klaviertasten») einreihen. Die überraschende Entscheidung der Protagonistin zum Schluss des Buches lässt einen rätseln, ob zur Fortpflanzung und Bestandeserhaltung des Homo sapiens eine grosse Portion Egoismus nötig ist. Konsequenterweise enden auffällig viele Kapitel mit der Frage nach Paarung und Paarungsbereitschaft. Als ob Boyle uns sagen wollte: Konstruiert eine Welt, wie ihr sie wollt. Am Ende holt euch das menschliche Triebwesen doch immer wieder ein.
Markus
Contra
T.C. Boyles neustes Werk umfasst satte 600 Seiten. Satt werden aber weder der Leser noch die Terranauten. Richtig: Terranauten, quasi das Gegenstück zum Astronauten. Das ist aber auch schon das einzige Kreative an diesem Buch. Aus drei verschiedenen Perspektiven, zwei Frauen und einem anderen Mann - Genderdiskussion ahoi - entwickelt Boyle eine fiktive Geschichte, um die wahren Begebenheiten der Biosphäre in der Wüste von Tuscon, Arizona. Die Charaktere wirken oberflächlich, wie ein Fernsehbildschirm, über den alle Menschen auf der Welt die Geschehnisse in dem für die 1990er-Jahre revolutionären Reality-Show ähnlich «Big Brother», mitverfolgen können. Und was könnte für die Zuschauer interessanter sein als Sex und Crime? Davon gibt es in diesem Roman reichlich. In der Biosphäre entfaltet sich der Homo Sapiens mit seinem urgeschichtlichen Erbgut zurück zum Homo erectus. Ausserhalb der Biosphäre entwickelt er sich zum Homo Deus. Yuval N. Harari hätte seine helle Freude daran, prognostiziert er diesen Wandel für die Menschen in der Zukunft. Erste Versuche, Gott näher zu kommen, gab es bereits in den 1990er-Jahren, diese scheiterten jedoch kläglich. So kläglich scheitert auch der eigentlich brilliante T.C.Boyle mit diesem Roman.
Reality Shows sind eigentlich Publikumsmagnete. Man sieht Menschen, wie sie leben und man versucht, sich davon zu differenzieren, sich einzubilden, sein eigenes Leben sei besser, anders. Man giert auf die nächste Folge, doch der Leser dieses Romans ist nach 600 Seiten froh, dass diese Show ein Ende nimmt und schlägt das Buch gerne zu und legt es für immer weg. Diese Show feiert sich sicherlich keine zweite Season.
Wibke